Die Falknerei
Hunger macht böse, das kommt erschwerend hinzu und führt dann zu dem sprichwörtlichen blutigen Anfänger – gemeint ist damit der Mensch, an dem der Greifvogel seine Aggressionen auslässt. Lange währt dieses Spiel sicher nicht, denn unser hungriger Freizeitpartner nimmt die nächste sich bietende Gelegenheit zum Freiflug sogleich sehr wörtlich. Er macht sich selbstständig auf die Suche nach Beute und ist auf und davon. Hungern kann er auch ohne uns! Daß Falknerei eine recht schwierige und deswegen durchaus reizvolle bis faszinierende Tätigkeit ist, war schon unseren Vorfahren bekannt. Aber wie kommt man nun zu dem harmonischen Verhältnis zwischen Mensch und Vogel, das gemeinsame Ausflüge ohne ständige besorgte Blicke zum Himmel ermöglicht? Erstmal: Füttern! Reichlich und regelmäßig, das befördert uns in das Beutege- dächtnis. Als nächstes: Geduld! Langsame Bewegungen, nichts überstürzen, immer recht freundlich, für die Wutausbrüche nehmen wir den Sandsack drei Räume weiter. Einfühlungsvermögen und im Idealfall Erfahrung helfen uns weiter, die richtige Mischung zu finden aus Futter, der Jagd auf Beuteattrappen und Ruhepausen. Dann sieht der Greifvogel dem täglichen Treffen als willkommenem Höhepunkt des Tages mit erfolgreicher Jagd und gefülltem Kropf entgegen. Nur dann zieht er den täglichen Jagderfolg in angenehmer Gesellschaft einem gefahr- vollen und mühsamen Alleingang freiwillig vor. Diese Ausbildungstechnik nennt sich positive Motivation und beinhaltet die Abwesenheit von Strafe. Wir lernen ganz nebenbei sehr viel von unserem Jagd- und Freizeitpartner: Hinzuschauen, sein Gegenüber genau wahrzunehmen, ihn mit all seinen Launen und seinem starken Charakter zu akzeptieren, geduldig und freundlich an das gemeinsame Ziel zu kommen, Kratzer nicht persönlich zu nehmen und die langsam wachsende Freundschaft zu einem Wildtier beim täglichen Ausflug auch wirklich zu genießen. Denn man hat sie sich erarbeitet, man kann sie sich nicht kaufen. „Falknerei ist die Kunst, ein freies Wesen an sich zu binden, indem man ihm immer wieder die Freiheit schenkt,“ sagte Horst Stern. Immer wieder – diese Beschäftigung ist kein Zeitvertreib für mal eben schnell zwischendurch oder für ein paar Stunden am Wochenende. Die Falknerei liegt weit ab vom Mainstream, denn sie führt uns neben spannendem und intensivem Natur- erleben auch an unsere eigenen Grenzen: Der Greifvogel toleriert Fehlverhalten schwer bis gar nicht. Wir erlernen durch den Umgang mit ihm Geduld, Freundlichkeit, Konzentration, Konsequenz und die positive Motivation als Weg zu dauerhafter Kooperation. Damit ist die Falknerei eine gute Passion für alle, die nach unvergänglichen Werten und unvergesslichen Erlebnissen suchen. Klaudia Brommund [ 2008 )
Überflüssig gewordene Tierquälerei sagen die einen, Weltkulturerbe mit hohem Lernfaktor sagen die anderen. Strenge Gesetze regeln die Ausübung der Falknerei besonders hier in Deutschland. Werfen wir einen Blick auf das Tier, um das sich hier alles dreht, den Greifvogel: Er ist ein Raubtier, überaus intelligent, wehrhaft, schnell und fliegen kann er auch noch. Damit unterscheidet er sich grundlegend von Hund und Pferd, den beiden anderen Jagdhelfern, die zu beliebten Freizeitpartnern geworden sind. Der Greifvogel weiß genau, was er will und das ist vor allem eins: Beute! Die Jagd ist für den Greifvogel anstrengend und auch gefährlich. Die oben erwähnte Intelligenz lässt ihn Ausschau halten nach Alternativen. Manche akzeptieren den Verzehr von Aas, jagen altes, krankes oder verletztes Wild und die ganz Schlauen suchen sich einen Jagdpartner. Natürlich ersteinmal in den eigenen Reihen, diese Vögel jagen zu zweit oder in Gruppen. Aber auch inter- spezifische Symbiosen sind bekannt, Weißkopfseeadler und Fuchs jagen in Nordamerika gemeinsam auf Kaninchen. Der mit Abstand bekannteste Symbiont des Greifvogels ist der Mensch. Das ganze nennt sich dann Falknerei und wir homo sapiens tendieren dazu, diese Jagdart als unsere Erfindung zu deklarieren. Damit tun wir unserem Jagdpartner jedoch zu 50% Unrecht, denn eins hat sich im Laufe der Jahrtausende zweifelsfrei erwiesen: Ein Greifvogel lässt sich dauerhaft zu nichts zwingen. Man kann ihn einsperren, ja, unter Umständen wird er sich inhaftiert sogar fortpflanzen, aber die Falknerei beinhaltet nunmal den freien Flug. Und da haben wir das erste und größte Problem, ein Greifvogel kann fliegen, ein Mensch leider nicht. Die freiwillige Rückkehr unseres Jagdpartners ist erforderlich. Das zweite Problem ist die bereits erwähnte Intelligenz, sie sorgt für ein gutes Gedächtnis. Dieses Gedächtnis setzt strenge Prioritäten: unangenehme Situationen werden ungern wiederholt, bedrohliche Situationen werden gar nicht wiederholt, dann erst wird gespeichert, wie und wo man am leichtesten an Beute kommt und welche Orte Sicherheit und andere Vorteile bieten. Die Konsequenz: Wer versucht, seinen Greifvogel über Hunger zu Leistungen zu zwingen, landet ganz sicher im ersten, je nach Ausdauer sogar im zweiten Gedächtnisspeicher seines Vogels. Herzlichen Glückwunsch!